Die Arbeiten Martin Voßwinkels haben alle eines gemeinsam: ihre Entstehung aus der Natur. Ganz in der Tradition der Anfänge der Kunst, malt, installiert und performt Voßwinkel mit, in und aus der Natur. Schon die ersten Höhlenmalereien in Altamira (um 13.500 v. Chr.) oder Font-de-Gaume setzten sich mit der natürlichen Umwelt auseinander, zeichneten ihre Tiere und Menschen mit Materialien, die ihnen die Natur lieferte: Farben mineralischen Ursprungs, die pulverisiert mit Öl oder Tierfett gebunden wurden. Ob in Griechenland, Rom oder der mittelalterlichen Tafelmalerei, immer war das natürliche Pigment die Grundlage jeder Bildlichkeit. Die verwendeten Farbpigmente entstanden aus Erden, wie Ocker; aus Halbedelsteinen wie Lapis Lazuli wurde "Azzurro oltramarino" und durch Korrosion von Kupfer erhielt man Grünspan.1 Erst durch die Entwicklung der Anillinfarben im 19. Jahrhundert wurden die natürlichen Pigmente und damit der direkte Kontakt mit der Natur beim Vorgang der Malerei verdrängt.
Martin Voßwinkel bindet diese Natur in seine Arbeiten wieder ein, in dem er Erden oder Kohle, Holunder oder Kurkuma (Gelbwurzel, aus der Curry gewonnen wird) zur Gestaltung seiner Rollfelder verwendet. Dabei finden die Pigmente sowohl im skulpturalen Bereich2 Anwendung (Rollfeld 1997, Kurkuma, Abb. 1) als auch in der Malerei (Abb. ??). Doch ist es nicht die traditionelle Verwendung der Farben, sondern ein eigener zeitgenössischer Weg, den Voßwinkel beschreitet. Die dreidimensionalen Kugeln werden nicht an ihrer Oberfläche von den Pigmenten gestaltet, sondern bestehen aus ihnen. Die zweidimensionalen Bilder tragen die Farben mit eigenem Auftragungsmodus3 und der Handschrift des 20. Jahrhunderts. Das Gestaltungsmaterial wird im Bereich der Skulptur zum Kunstobjekt selbst.
Die Auseinandersetzung mit der Natur und ihren Erscheinungsformen spielt nicht nur in der Materialwahl des 1963 in Erlangen geborenen Künstlers eine Rolle. Seine Projekte beziehen sich immer wieder im Sinne der Land Art, also einer Kunstrichtung wo Landschaft zum Kunstobjekt wird, auf die Natur. Die Installation Rollfeld (Abb. 1), sowie die Baumzeichnungen, in denen die Natur selbst zur Künstlerin wird und die im Zusammenhang mit dem Projekt "Ein KUNSTspaziergang in Bremen-Schwachhausen" 19974 entstanden sind, können als Land Art Projekte gesehen werden. Ebenso weisen spätere Werke wie das Strandgutkino von 1998 oder die Installation Hotline 1999 in diese Richtung. In seinen neuesten Arbeiten, wie der Performance Rollfeld II (Abb. ??), die im Januar 2000 in Worpswede stattfand, gilt sein ganzes Interesse der Linie, also einem formalen Aspekt und dem Phänomen der Zeit in Form von Vergänglichkeit.
Die Bilder des 37jährigen zeigen über die Einbeziehung der Natur hinaus ein großes Interesse an malerischen Gesichtspunkten wie Fläche und Linie. So setzen sich die Arbeiten aus den Jahren 1995-19975 über das Phänomen der "Erdfragmente" hinaus mit Fragen der Flächigkeit und der Monochromie auseinander - Grundfragen der Malerei und Abstraktion. Gleichzeitig beginnen die ersten Rollfelder, die Martin Voßwinkel bis heute weiter entwickelt. Von Arbeiten mit großer Dichte (Abb. ??), in denen die Linie weder Anfang noch Ende hat, sondern in der starken labyrintischen Überdeckung weiterhin zur Monochromie weist, lichtet sich die Struktur in den letzten Werken sowohl bei den überlagernden Schichten als auch beim Trägermaterial (neuerdings Acrylglas oder transparentes PVC). Zeigen Arbeiten wie Rollfeld 99235 (Abb. ??) noch archäologisches Interesse6 im Sinne von Schnitt und Schichtung, setzen sich Vernetzung (Rollfeld 99108, Abb. ??) sowie Spur und Schattenspur (Rollfeld 99128, Abb. ??) stärker mit dem Phänomen der Lichtwirkung auseinander. Die Staffelung der hintereinander gelegten Acrylglasplatten zeigt die farbige Wirkung der Durchdringung von Farbe und Licht. Bei Spur und Schattenspur steht einerseits durch das Abrücken von der Wand die Dreidimensionalität im Vordergrund, andererseits (und viel wichtiger) spielt die Arbeit mit der Zeichnung des Lichtes, die sich im Ergebnis der Schattenspur wiederfindet. Eine Serie von 16 Rollfeldern hat der Künstler diesem Thema gewidmet! Die Linie, das Element der Zeichnung schlechthin, wird durch die Schattenzeichnung autonom. Sie ist nur noch den Veränderungen der Lichtverhältnisse unterworfen und somit der Kontrolle des Künstlers entzogen. Wieder, wie schon in früheren Arbeiten7, nimmt sich der Künstler aus dem Werk zurück, gibt ihm eine Eigendynamik, eine Veränderlichkeit in der die Natur, hier in Form von Licht, zur Zeichnerin wird.
Nur wenige Künstler verstehen es wie Martin Voßwinkel in leisen, eindringlichen Werken, die Zusammengehörigkeit von Kunst und Natur so deutlich herauszuarbeiten und der, die ganze Welt gestaltenden Natur dabei einen so großen Freiraum zu lassen.
Christine Vogt, Suermondt-Ludwig-Museum