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Martin Vosswinkel - Die Windharfe

Katalog Windharfe
erschienen 1994 anlässlich einer Einzelausstellung im Kunstverein Achim

Projektdokumentation mit Fotos von Wolfgang Wiggers

Vorwort von Prof. Klaus Matthies, Bremen

Texte von Gregory Campbell, Claus Kostka, Maria Mathieu

80 Seiten
85 s/w Abbildungen
15 farbige Abbildungen
Auflage 1000


Die Flußaue - mit den Ebenen der Wiesen und dem Weidenbuschwerk am Rande - liegt da wie ehedem. Nichts verrät den Uneingeweihten, dass hier ein TUMULUS errichtet war. Ein grasbewachsener Erdhügel, rund und steilgewölbt außen, achteckig im Inneren. Mit einer Öffnung zum Himmel. Darauf die Äolsharfe, tönend im Wind. Für ein Jahr mit zwölf Monaten.

Der Maler und Objektkünstler Martin Voßwinkel, in den Ebenen Norddeutschlands heimisch geworden, hat das Werk, diese naturmagische Raumfigur, in sich entworfen und in konsequenter Arbeit realisiert und in gleicher Konsequenz des Geistes des Projektes, nämlich ihres Daseins im Zyklus der Naturzeit, wieder aufgehoben, das heißt, beseitigt.

Dem Entwurf, der Durchführung und der Erprobung des Werkes entsprach von Beginn an die Ausbildung von Äquivalenten auf den Ebenen des Gedächtnisses und der Dokumentation. Als Erinnerungsform des Nach-Bildes können Erzählungen derer gelten, die das Objekt - den TUMULUS in den Wiesen gesehen - betreten und jeweils in ihrer Weise genutzt haben. In der Erinnerungsform der konkreten Verbildlichung haben die Fotografien eine besonderer Bedeutung - wie in jenem Vorgang von land art oder naturbezogener Objektkunst. Ebenso die Zeichnungen zu Idee und Ausführung und die Texte zu Herleitung und Erläuterungen.

Dies nun, was dem eigentlich zentralen materialen Werk in Zeit und Raum - zeitlich wie räumlich - beigeordnet ist, bildet den anderen, zweiten Teil seiner Aufführung. Aufführung, das heißt für beide Teile: Auslotung des Ideengehaltes und der Erfahrungen am Objekt. Dieser so realisierte zweite Teil ist sozusagen jenes exzeptionelle Andere, das notwendig ist zur Belebung der Dauer des Ersten: In der Zeit nach seiner Zeit der unmittelbaren Aufführung, die in dieser Weise neu imaginiert, das heißt magisch besetzt werden kann.

In der Bildenden Kunst hatten lange das Wandbild, das Tafelbild, die Skulptur oder Plastik einen Vorrang. Seit etwa drei Jahrzehnten haben sich mehr und mehr neuere Formen der Darstellung durchgesetzt: die montage, das environment, das happening und die performance. Eine besonders eindringliche und komplexe Form des Inszenierens bilden die Objekte in der Landschaft - in der Kulturlandschaft und der unberührten Naturlandschaft. Etwas lapidar werden solche Werke, die zugleich mit Vorgängen in der Natur verknüpft sind, mit dem Begriff land art bezeichnet. Es geht um das Zusammenspiel von Landschaft und Werk. Im Aufkommen dieser Art von Werkideen waren von Beginn an Vorstellungen des Archaischen und Mythischen im Spiel. Die Tempel in den Wüsten Ägyptens oder in den Urwäldern von Mexiko oder Thailand, Stonehenge, Machupichu, die Hügelgrabfelder und Steingräber in Norddeutschland - das schwang mit in der Vorstellung, "Zeichen der Kunst heute" in die Landschaft zu setzen.

Martin Voßwinkel spricht von den kultischen Anteilen, von der Begehung, von den sinnlichen Erfahrungen des Lichts im Freien, von Gerüchen, von Naturklängen. Von der Bindung an die Erde, an die Vegetation. Von der Erfahrung der Luft, des Wassers und des Feuers. Die alte Ganzheit der vier Elemente. Diese Komplexität des Sinnlichen ist im Machen wie im Wahrnehmen aufgerufen, das Entstehen als ein Werden und der Abbau als ein Vergehen, Ende und Tod. Es ist die Vorstellung: Parallel dem Leben selbst, parallel dem Natur-Leben, die Kunst zum Sprechen zu bringen, im Grunde sogar in einer Vereinigung mit ihr, ihrem archaischen Sein.

Alle Werke der Kunst haben ihren Ort in der Geschichte ihrer Disziplin. Nachdem insbesondere Richard Long weltweites Interesse an seinen land-art-Werken geweckt hatte, hat diese Richtung der Kunst sich ausgeweitet und besondere Bedeutung erlangt. Es entstanden Übergänge in Skulpturen-Parks, in Video-Kunst, städtischen Environments, musikalischen Inszenierungen. Nach Long, Heizer, Gerz, Perejaume und Timm Ulrichs ist im Kontext der Arbeit von Martin Voßwinkel insbesondere Hansjörg Voth zu erwähnen.

Da ist ein gleichartiger Zyklus von Entstehung, Da-Sein und Auflösung wie bei Voßwinkels "Windharfe", während bei anderen Projekten, wie zum Beispiel Walter de Marias Blitzfeld in New Mexiko, das Beharren auf einer langen Dauer den herkömmlichen Ewigkeitsanspruch des Kunstwerkes fortsetzt, der im Verbund mit der Natur gerade aufgelöst und nur indirekt noch intoniert ist.

Allerdings ist zu bedenken, und darin liegt dann Martin Voßwinkels eigener Ansatz und auch seine Bedeutung im Feld dieser Versionen - man könnte auch sagen Vision - von Kunst: Der Erdhügel, der TUMULUS, ist darauf angelegt, die Menschen nicht nur anzuziehen, sondern in sein Inneres hineinzuziehen, die meditative Gestalt und Stille des Innenraumes zu erleben, sogar zu nutzen und die Erfahrung davon mit anderen Menschen zu teilen. Hierin ist der Künstler auch wesentlich über seine anderen Landschaftsobjekte hinausgegangen. Diese Wahrnehmungs- und Verhaltensqualität, im besten Falle eine Kommunikations- und Interaktionsqualität, fügt dem Werk eine eigentümliche soziale Komponente hinzu. In bestimmter, vorbedachter, überprüfbarer Weise ist der so oft gewünschte Zusammenhang von Kunst und Leben dem Werk immanent. Es geht in einen Gebrauch über, der das Werk überdauern kann. Andererseits ist die oberste Partie des Objektes solchem Gebrauch entzogen. Hier hat nur der Wind, der Atem der Luft, Zugriff auf die Saiten der Harfe der Götter. Nur was er an Tönen vermag, darf erklingen. Es ist ätherischer Gesang, unirdischer Ton - eine ferne Melodie aus König Davids Harfe "Kinor", aus Homers Beschreibungen, Geisterton aus dem Reich der Toten, Signum der Vergänglichkeit, Erinnerung an die Ferne der Harmonie der Welt wie im Sternengesang. Herder, Mörike, die Romantiker haben davon geträumt. Der Jesuitenpater Athanasius Kirchner hat die "Phonurgia nova" beschrieben. Martin Voßwinkel hat sie eingebaut in seinen Grabhügel, in dessen Innern die Lebendigen die "äußere Natur" vernehmen.

Prof. Klaus Matthies, Bremen
The flood plain - with lowland meadows and willow scrub at the edge - lies as it always has. Nothing reveals to the uninitiated that a TUMULUS was erected here, a grassy mound, round and steeply convex on the outside, octagonal within, with an opening to the sky. On top the aeolian harp, sounding in the wind all year round.

Martin Voßwinkel, the painter and object artist, having made his home in Northern Germany's plains, has designed this piece of art, this space figure of natural magic, within himself and realised it through persistent work. By sticking, with the same consequence, to the project's spirit, i.e. its existence in the cycle of natural time, he undid , that is to say abolished it.

Right from the start the design, realisation and testing of this work of art were paralleled by the forming of equivalents in the categories of memory and documentation. Stories of those who have seen, entered and used the TUMULUS in the meadows in their own respective ways may serve as a memorial form of the after-image. Photographs are of special importance in memorising by concrete imaging like that process of land art or nature related object art. So are the drawings of the idea and for its execution and the texts about derivation and with explanations.

Now this which is added in time and space - chronologically as well as spatially - to the really central material work, forms the other, second part of its performance. Performance means, for both parts, fathoming the content of ideas and the experiences with the object. This second part thus realised is in essence the exceptional other element necessary to enliven the duration of the first after the period of its immediate performance which can, in this manner, be imagined afresh, i.e. be filled with magic.

For a long time the mural, panel painting, sculpture or statue took priority in the fine arts. For about three decades more recent forms of presentation, i.e. the mounting, the environment, the happening and the performance have asserted themselves more and more. The objects in the landscape, i.e. in the man-made and the virgin landscape, represent a particularly forceful and complex form of staging. Such works of art which are linked with processes in nature are somewhat succinctly termed land art. The theme is the interplay of landscape and work of art. In the emergence of these kinds of ideas of works of art, conceptions of the archaic and mythical were present from the start. The temples in Egypt's deserts or in the jungles of Mexico or Thailand, Stonehenge, Machu Picchu, the fields of tumuli and barrows in Northern Germany resonated in the idea of putting "signs of today's art" into the landscape.

Martin Voßwinkel talks of the ritual components, of walking around in the art object, of the sensual experience of outdoor light, of scents, of natural sounds, of the bond to the earth and to vegetation, of the encounter with air, water and fire, of the old unity of the four elements. This complexity of the sensual is called upon in shaping as well as in perceiving, the creation as an emergence and the dismantling as a decay, end and death. It is the idea of bringing art to speak parallel to life itself, parallel to the life of nature, basically even in uniting with it, with its archaic being.

All works of art have their place in the history of their discipline. This art movement has expanded and taken on special prominence after Richard Long in particular aroused world-wide interest in his works of land-art. Transitions emerged in sculpture parks, in video art, urban environments and musical productions. After Long, Heizer, Gerz, Perejaume and Timm Ulrichs, especially Hansjörg Voth must be mentioned in context with Martin Voßwinkel's work.

There is a similar cycle of emergence, being and dissolution comparable to Voßwinkel's "Windharfe" (wind harp), whilst in other projects like Walter de Maria's Blitzfeld (lightning field) in New Mexico, the insistence on a long duration perpetuates the traditional claim of the work of art to eternity which in league with nature is actually dissolved and only intoned indirectly.

However, one should consider, and herein lies Martin Voßwinkel's own approach and also his importance in the field of these versions - one could also say visions - of art, that the mound, the TUMULUS, is designed not only to attract people but to draw them into its interior, to allow them to experience the meditative form and silence of the room inside, to even use it and share their experiences of it with others. In this the artist has also gone substantially beyond his other landscape objects. This feature of perception and behaviour, at its best a communicative and interactive quality, adds a peculiar social component to the work. In a certain planned, verifiable way the cohesion so often desired between art and life is immanent to the work. It transforms into an object of use and may as such outlast itself as an object of art. On the other hand, the object's upper portion eludes usage. Here only the wind, air's breath, can play the strings of the harp of the Gods. Only the tones the wind produces may sound. It is an ethereal song, an unearthly tone, a distant tune from king David's harp "Kinor", from Homer's descriptions, a spirits' tone from the realm of the dead, sign of transience, reminder of the world's harmony being far away like in the song of the stars. Herder, Mörike, the Romantics have dreamt of it. The Jesuit priest Athanasius Kirchner has described the "Phonurgia nova". Martin Voßwinkel has implemented it in his burial mound, in the interior of which the living hear the "outer nature".

Prof. Klaus Matthies, Bremen
Translation: Joan Leisewitz
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